Sarah Spiekermann im Interview über Digitale Ethik

Im Interview mit delibri.ch gibt die Pionierin der «Digitalen Ethik», Sarah Spiekermann, Einblicke in die Zusammenhänge von Ethik und Werten. Sie zeigt auf, wie verantwortungsvolles Management unter reiner Gewinnoptimierung leidet. Ein Ausweg könnte die Besinnung auf Werte sein. Denn gute Ingenieurskunst ist schön und mächtig. So zeigt uns Apple beispielsweise, was es heisst, ein wertorientiertes Unternehmen zu führen.

Am 27. Februar 2020 fand in Zürich die Shift statt: Die jährliche Konferenz, an der der Megatrend «Digitale Ethik» aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Organisatorin Cornelia Diethelm, Gründerin Centre for Digital Responsability, legt Wert darauf, Wissenschaft und Unternehmen in den Dialog über Erfahrungen, Kundenbedürfnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse und Trends zu bringen.

Unter den hochrangigen Referentinnen und Referenten war auch die Pionierin der «Digitalen Ethik», Sarah Spiekermann. Sie ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Universität Wien und entwirft in ihrem gesellschaftskritischen Sachbuch ein auf traditionellen Werten aufbauendes Wertesystem für das Zeitalter der Digitalisierung. Mit Sarah Spiekermann sprach Petra Bitter von delibri.ch.

Frau Spiekermann, sie verstehen unter Ethik nicht klassische Moral. Was ist für Sie Ethik?

Sarah Spiekermann: Für mich ist Ethik mit der Phänomenologie der Werten verknüpft, denn Werte sind Prinzipien des Sein-Sollens. Ethik sind Theorien, die uns anleiten, das Richtige zu tun. Man kann Werte nicht von Ethik trennen und Ethik ohne Werte ist nicht denkbar.

Die Lehre vom richtigen Handeln ist in allem präsent, was wir tun. In mittelständischen Unternehmen der DACH-Region haben wir noch eine Generation von wertorientierten Geschäftsführern, die ganzheitliche, kluge, menschlich gute und richtige Entscheidungen fällen. Aber wir haben leider viele Grossunternehmen, die im Zuge des Kostendrucks und der Kapitalmärkte diese Art von verantwortungsvollem Management nicht leben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Boeing ist ein Beispiel dafür. Ich liebe Flugzeuge. Es ist traurig, wenn man eine Entwicklung wie bei Boeing sieht, wo nur unter Kosteneffizienzaspekten irgendwelche Betriebswirte dieses fantastische Ingenieursunternehmen in seiner Qualität zugrunde gerichtet haben. Unser Vertrauen in diese wunderschönen fliegenlassenden Objekte zerstören. Menschen haben kein Vertrauen mehr in Technik und in Flugzeuge, das ist sehr schade. Solange wir aus dieser Art des Wirtschaftens nicht heraus kommen, verändert sich nicht viel, ausser dass man, das finde ich auch gut, mehr über das Thema Ethik spricht.

Wie gelingt die Umkehr zum ethisch richtigen Handeln?

Der Gesetzgeber hat eine Rolle zu spielen. Durch das Reden über Ethik zieht der Gesetzgeber Leitplanken ein. Das ist gut so. Denn dadurch stehen alle Unternehmen im Wettbewerb unter denselben Bedingungen, sie müssen das Gesetz einhalten. Allerdings nützt uns der Gesetzgeber gar nichts, wenn es keine Aufsichtsbehörden gibt und die nicht richtig ausgestattet sind. Das ist derzeit ein riesen Problem. Wir haben schon einige Fortschritte gemacht, stehen aber noch ganz am Anfang. Und es bedeutet ein gigantisches Umdenken.

Können wir das schaffen, als Unternehmen und als Gesellschaft?

Ja! Denn in der allerletzten Konsequenz sehnt sich der Mensch nach dem Guten, Wahren und Schönen. Dieses sich sehnen, diese Hoffnung, dieser Wunsch ist sehr stark. Wir fühlen uns hingezogen zu Werten. Wir fühlen uns hingezogen, wenn etwas schön, mutig, lustig oder grosszügig ist. Wir haben ein Wertgefühl. Es gibt tausende von Werten in der Welt. Und obwohl wir diese Werte im Sprachgebrauch noch kennen, haben wir vergessen, dass alles um uns herum permanent ein Wertträger sein kann. Nur billige Dinge, wie dieses hässliche Sofa hier im Raum, setzen keinen Wert frei. Das Sofa ist nicht einladend. 

Wenn der Mensch durch Achtsamkeit und im Bewusstsein, dass es all diese Werte gibt, sich ihnen wieder zuwendet, kann er ein gutes Leben führen. Sich bewusst machen, worum es einem selber geht. Im Privaten, als Kunde, als Nutzer. Oder als Geschäftsführer. Diese Bewusstmachung ist die eigentliche Transformation, die wir durchleben müssen.

Unternehmen müssten sich also auf Werte besinnen und Werte in ihre Produkte legen. Können sie damit erfolgreich sein? 

Absolut! Technik ist ungeheuer schön und mächtig, wenn sie gut gebaut wird. Wenn man richtig gute Ingenieurskunst verfolgt, dann baut man Technik, die funktioniert, die schön ist, Spass macht und beflügelt. Das beste Beispiel dafür ist Apple. Steve Jobs war, ohne sich vielleicht bewusst mit Werten zu beschäftigen, besessen von Qualität, Schönheit und Präzision der Produkte. Auch die kleinsten, unsichtbaren Bauteile sollten schön sein. Im Zuge dieser Wertorientierung hat Apple sicherere, datenschutzfreundliche Systeme gebaut und dort richtig investiert. Das ist ein perfektes Beispiel dafür, was es heisst, ein wertorientiertes Unternehmen zu führen. Das wertvollste Unternehmen der Erde macht uns eigentlich vor, wie es sein sollte.

Mit welcher Unterstützung gelingt Unternehmen der Wandel?

Mit dem weltweiten Berufsverband der Ingenieure IEEE entwickle ich Leitlinien für die ethische Technikentwicklung. In diesem Ethikstandard haben wir auch definiert, wer Firmen helfen kann, diese ethischen Prozesse in Unternehmen hinein zu bringen. Wir nennen sie Value Experts. Das sind Menschen mit geisteswissenschaftlichem, philosophischem oder sozialwissenschaftlichem Hintergrund, die ein Training absolvieren, in dem sie technikaffin etwas über System Engineering lernt. Diese Menschen sind ideal, um so einen wertegeleiteten Prozess in Unternehmen umzusetzen.

Wichtig ist, dass wir unser Bildungssystem umbauen dahingehend, dass Menschen lernen, wo die eigenen Talente und Interessen liegen. Denn dort können sie sich wirklich entfalten. Und wenn sie sich entfalten, Spass haben, dann sind das auch die «kritischen» Denker. Das sind genau die kritischen Denker, die wir für einen solchen Umbruch brauchen.

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